Die Mutter Jesu und unsere Mutter

■ Die engste und stärkste zwischen-menschliche Bindung besteht ja bekanntlich zwischen den Eltern auf der einen und ihren Kindern auf der anderen Seite. Vater und Mutter geben sich gegebenenfalls lieber selbst auf - alles ihren Kindern zuliebe - und opfern notfalls auch ihre Gesundheit und ihr eigenes Leben, nur um ihr Kind vor welcher Gefahr auch immer zu retten und beschützen.
So stehen die Eltern auch bis zuletzt zu ihren Kindern. Sollte sich sozusagen sogar die ganze Welt gegen ihre Kinder wenden, lassen sie sie auch da nicht im Stich, sondern versuchen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Kräften und Mitteln, ihren Kindern unbedingt nur beizustehen und sie zu verteidigen. (Wobei ganz edle und höchsten Respekt verdienende Eltern gleichzeitig auch eine blinde und einseitig-irrationale Fixierung auf ihre Kinder aufgeben und stattdessen sehr wohl die wahrhaft liebende Fähigkeit mitbringen, die vorhandenen Fehler und Unzulänglichkeiten ihrer Kinder, mit denen diese anderen Menschen eventuell sogar nennenswert “auf die Füße treten” sollten, sowohl nach innen als auch notfalls nach außen zuzugestehen und nach Möglichkeit zu korrigieren.)
Dabei ist die emotionale Beziehung einer Mutter zu ihrem Kind verständlicherweise meist noch intensiver und inniger als die des betreffenden Vaters (ohne den Vätern nahe treten zu wollen), weil ja eine jede Mutter ihr Kind neun Monate lang unter dem Herzen trägt und dann in der Regel ja auch monatelang stillt. Somit gibt sie ja ihrem Kind sogar auch in diesem wortwörtlichen Sinn einen Teil von sich selbst mit!
Wenn wir nun diese allgemein-menschliche Selbstverständlichkeit ansprechen, dann muss es uns doch auch bewusst sein, dass eine analoge innige mütterliche Bindung Mariens zu ihrem Sohn Jesus Christus bestanden haben musste! Maria war ja Mutter und Jesus war ihr Kind. Denn hört man sich manchmal Ausführungen nicht weniger Protestanten an, gewinnt man den Eindruck, als hätte Jesus absurderweise nichts mit Seiner Mutter zu tun haben wollen, als hätte Er sie nur zurückgewiesen und von sich unbedingt fernhalten wollen. So, wird dann behauptet, dürfe Maria auch im Glauben eines gottesfürchtigen Christen keinen Platz haben - sie würde ja nur von Jesus ablenken und somit eine echte Gottesbeziehung ungebührlich beflecken.
■ Nun, wie unsinnig und absurd diese Annahme ist, wird einem allein schon dadurch bewusst, dass man sich nur kurz an das 4. Gebot Gottes erinnert, welches natürlich auch für Jesus in Bezug auf Josef und Maria galt! Wie hätte ausgerechnet Jesus Seine gebenedeite Mutter ignorieren, missachten oder eventuell sogar verachten können und dürfen, wenn es im heiligen Gebot Gottes ausdrücklich heißt, man soll seine Eltern ehren? Jesus hat ja nie behauptet, dieses 4. Gebot oder auch irgendein anderes Gebot Gottes würde für Ihn nicht gelten. Er wäre uns dann ja ein “schönes Vorbild” gewesen und hätte uns dadurch ein “wirklich gutes Beispiel” gegeben...
Wie stark und intensiv die mütterlichen Gefühle Mariens zu ihrem Sohn Jesus waren, ersieht man dann sehr gut auch aus der historischen Tatsache, dass sie die Person war, die auch und gerade während des äußerst schmerzhaften und bitteren Leidensweges Jesu nicht an Ihm zweifelte, sondern unerschütterlich zu Ihm hielt! Die Apostel haben Jesus zuvor vollmündig versprochen, sie würden auf keinen Fall an Ihm irrewerden, sondern mit Ihm zusammen notfalls auch sterben. Und als es darauf ankam, verließen sie Ihn alle. Petrus, mit dem Jesus sehr vertraut war, verleugnete Ihn dreimal und verneinte sogar, Ihn überhaupt zu kennen.
Maria aber verließ Ihn nicht und verleugnete Ihn zu keinem Zeitpunkt - sie harrte auch unter dem Kreuz Christi aus. Zwar wird im Evangelium kein einziges Wort überliefert, welches von Maria während dieser Zeit zu Jesus oder überhaupt gesprochen worden wäre. Aber allein die Tatsache, dass Jesus sie während Seines furchtbaren Leidens zur Sühne für die Sünden der Menschen treu an Seiner Seite und dann auch unter dem Kreuz stehend sehen konnte, sagte fast mehr aus als viele fromme und erbauende Worte!
Er sah, dass sie zu Ihm hielt - dass sie sowohl als gläubige Seele sogar auch in Seiner dunkelsten Stunde in unerschütterlicher Treue zu Ihm als ihrem Göttlichen Erlöser steht als auch zugleich eine solche mütterliche Liebe zu Ihm an den Tag legt, die die Liebe aller anderen Mütter überragt! Denn kein einziges Kind irgendeiner anderen Mutter hat das Sühnopfer für das Heil der Menschen darbringen können oder müssen, wobei die Schuld der ganzen Menschheit auf ihm lastete ...und Maria deutlich mehr als nur ahnte, wer Jesus war und welche göttliche Tragödie genau sich da gerade ereignete!
■ Und Jesus anerkennt diese Liebe und Treue Seiner Mutter, und zwar auf eine Weise, wie man es sich in einer solchen Situation nicht hätte vorstellen können! Er leidet ja, ans Kreuz geheftet, furchtbare Schmerzen der Seele und des Leibes. Entkräftet kostet es Ihn mit jedem Mal umso mehr Kraft und Anstrengung, sich zu sammeln und etwas hochzuziehen, um überhaupt wieder einen Atemzug machen zu können. Denn die Last Seines ermatteten Körpers drückt Ihn immer mehr nach unten und schnürt dadurch die Atemwege zu.
Und trotzdem findet Er in dieser furchtbaren Lage einen speziellen Blick für Seine Mutter und kümmert sich um sie! “Als Jesus nun die Mutter und den Jünger, den Er liebte, dabeistehen sah, sagte Er zu Seiner Mutter: ‘Frau, da ist dein Sohn!’ Dann sagte er zu dem Jünger: ‘Da ist deine Mutter!’ Von jener Stunde an nahm der Jünger sie in sein Haus auf” (Joh 19,25-27). „Die Väter erkennen in dieser letzten Fürsorge des Herrn für seine Mutter im eigenen namenlosen Todesweh einen Akt zärtlicher Kindesliebe, wodurch er uns Vorbild sein wollte für die Erfüllung des vierten Gebotes“ (Rebstock, B., Vom Wort des Lebens. Paulus Verlag Recklinghausen, 1949, Band II, S. 279).
Welch eine beseligende Innigkeit und tiefe gegenseitige Zuneigung muss also in der Beziehung zwischen Jesus und Maria gelegen haben! Maria wird von einer solchen reinen und erhabenen Gottes- wie auch einer ergreifenden Mutterliebe getrieben, dass sie keine Gefahr achtet, um inmitten all des fürchterlichen und abgrundtiefen Hasses und Fluchens, welche Jesus ja besonders am Kreuz umgaben, bei Ihrem Sohn und Erlöser zu sein und zu bleiben. Sicherlich war auf der anderen Seite auch die liebende Fürsorge des sterbenden Sohnes für Seine verwaiste Mutter für Maria ein letzter großer Trost. Wie rührend muss es für sie gewesen sein, dass Er sogar ausgerechnet während Seiner dunkelsten und bittersten Stunde hier auf Erden an sie dachte und sich um sie Sorge machte!
Diese Überantwortung der Sorge um das leibliche Wohl und das Auskommen Mariens an Johannes spricht außerdem ebenso überdeutlich dafür, dass Maria keine anderen Kinder nach Jesus gehabt haben konnte und somit Jungfrau war und blieb! Denn hätte es bei der Muttergottes solche weiteren Kinder gegeben, wäre es nach jüdischer Tradition unvorstellbar gewesen, dass Jesus nach Seinem Weggang aus dieser Welt Seine Mutter nicht einem Seiner (hypothetischen) jüngeren Brüder oder Geschwister, sondern einem anderen und sehr wohl überhaupt nicht verwandten jungen Mann überantwortet hätte, damit dieser sich ab nun an Jesu statt um die hl. Jungfrau kümmere. Allein schon durch das 4. Gebot Gottes hätten diese Geschwister selbst eine entsprechende schwere sittliche Pflicht gehabt, sich nach dem Tod ihres ältesten Bruders unbedingt um ihre gemeinsame Mutter zu kümmern!
Wie können also z.B. nicht wenige im Protestantismus und immer mehr im Modernismus fortfahren, in letztendlich absurder und widersinniger Weise zu behaupten, Jesus habe sich praktisch immer nur distanziert von Maria und von ihr nicht viel bis nichts wissen wollen? Leiten ja auch dann v.a. die Protestanten daraus die Forderung ab, Maria müsse angeblich um des Erhalts einer reinen Beziehung zu Jesus willen unbedingt als ein nennenswerter oder sogar bedeutender und zentraler Inhalt der christlichen Offenbarungsreligion ausgeschlossen werden. Denn sie würde da ja nur als ein großer Störfaktor gelten, wird halt behauptet.
■ Welchen hohen Stellenwert Maria aber wirklich einnimmt im Christentum, wird dann unter anderem auch aufgrund folgender Überlegungen und Schlussfolgerungen ersichtlich. Ab Karfreitag übernahm ja der Apostel Johannes die Aufgabe, sich an Jesu Statt um Maria zu kümmern: „Von jener Stunde an nahm der Jünger sie in sein Haus auf.“ Dadurch vollzog sich bzw. griff ein gewisser Akt der Stellvertretung ein!
Wenn also Jesus auf geradezu feierliche Weise Seine eigenen Sohnespflichten der Muttergottes gegenüber an Johannes überträgt („Da ist deine Mutter!“), dann setzt Er ihn gewissermaßen auch als ein Kind Mariens ein. Sicherlich hat sich Johannes dann auch entsprechend große Mühen gegeben, diesem ehrenvollen Auftrag bis zur seligen Entschlafung und glorreichen Himmelfahrt der hl. Jungfrau gerecht zu werden.
Wenn aber Maria von Jesus vernimmt, Johannes würde Ihn jetzt gewissermaßen als ihr Sohn vertreten („Frau, da ist dein Sohn!“), dann verstand sie diese Weisung zweifelsohne auch als einen geheiligten Auftrag, ihre spezielle mütterliche Liebe und selbstlose Fürsorge von nun an voll und ganz auf Johannes zu richten! Sicherlich hat Johannes mit Maria eine Mutter geschenkt bekommen, die aufgrund ihres bisherigen gemeinsamen Lebens mit Jesus und des überreichen Schatzes des innigen und vertrauten Umgangs mit der überwältigenden Realität Gottes sehr feinfühlig war und somit auch Johannes eine solche edle Mutterliebe geben konnte, die ihn geistig nur noch weiter bereichert hatte!
Gleichzeitig steht Johannes auch stellvertretend für alle Jünger Jesu! „Dann ist es gewiss berechtigt, wenn Rupert von Deutz (Jo Ev. 12) die Worte des sterbenden Heilandes an Maria und Johannes auf die geistige Mutterschaft Mariens für alle Gotteskinder ausdehnt, eine Deutung, die seither Gemeingut der katholischen Theologie geworden ist. Die Worte Jesu gewinnen dann eine Weite, in welche die gesamte Kirche mit einbegriffen ist. Durch sie wird schöpferisch das neue Verhältnis zwischen Maria und der erlösten Menschheit ausgesprochen, das durch Marias Teilnahme am Erlösungsopfer Christi begründet worden ist. Maria wird im neuen Sinn Mutter, und Johannes, der Vertreter der Jünger Jesu, ihr Sohn“ (Rebstock, B., ebd., S. 281).
Somit ist es nur logisch, dass die Muttergottes dann ihr mütterliches Auge auch auf uns, „elende Kinder Evas“, richtet, die wir uns noch „trauend und weinend“ in diesem irdischen „Tal der Tränen“ (Salve Regina) befinden. Ihr sind unsere Sorgen, Mühen und Seufzer keinesfalls fremd – hat sie ja den Leidensweg Jesu als Seine Mutter an Seiner Seite durchlebt. Verhieß ihr ja schon der greise Simeon bei der Darstellung Jesu im Tempel: „Simeon pries sie selig und sagte zu Maria, Seiner Mutter: ‚Siehe, dieser ist bestimmt zum Fall und zur Auferstehung vieler in Israel und zum Zeichen des Widerspruchs. – Auch deine Seele wird ein Schwert durchdringen. – So sollen die Gedanken vieler Herzen offenbar werden’“ (Lk 2,34f.).
■ So dürfen und sollen auch wir uns dann zusammen mit Johannes als geistige Kinder dieser erhabenen Mutter, der Muttergottes, ansehen und verhalten. Geben wir somit gewissermaßen auch ihr die Ehre, die wir nach dem 4. Gebot Gottes unseren Eltern (und Großeltern) schulden! Begrüßen wir sie zusammen mit dem Erzengel Gabriel als diejenige, die schon vor dem Erlösungswerk „voll der Gnade“ (Lk 1,28) war, die „Gnade hat vor Gott“ (Lk 1,30).
Lernen wir von ihr die Tugenden, die sie uns so vorbildlich vorgelebt hat, nämlich Glaube und Gottesliebe, Ergebung in den Willen Gottes und Gottvertrauen, Demut und Bescheidenheit, Gehorsam und Hoffnung, Keuschheit und Reinheit, Pflichterfüllung und innige Herzensfreude! Wer ihrem Beispiel und Vorbild getreu folgt, der lenkt nicht nur nicht im Geringsten von Jesus ab, sondern findet den sicheren Weg zu Ihm, der göttlichen Quelle des Lebens!
Bitten wir sie in allen unseren berechtigten Anliegen, sie möge im Himmel vor ihrem Göttlichen Sohn als unsere mütterliche Fürsprecherin vor- und eintreten! Vertrauen wir darauf, dass Jesus eine Bitte einer solchen Mutter, eben Seiner Mutter, nicht abschlagen kann, und geben wir dabei auch nicht in der Beharrlichkeit unserer frommen Gebeten nach! Denn Gott allein weiß am besten, was, wann und auf welche Weise uns zum Besten gereichen wird.
Und unterlassen wir ebenso niemals, bei den mannigfachen Prüfungen unseres Lebens, die uns vielleicht sogar heftig hin- und herschaukeln, in unerschütterlicher Treue zu dem göttlichen Willen und Seiner Vorsehung auszuharren sowie bei allen Wechselwirkungen des Irdischen zu der von Ihm gestifteten Kirche, der katholischen Kirche, und ihren unveränderlichen und im Wesen unveränderbaren Lehren zu halten!
Ja, bisweilen findet man sich dabei (heute in bestimmter Hinsicht besonders?) in einer Situation wieder, wie sie ja auch Maria erfahren und durchleiden musste – die Einsamkeit und Trostlosigkeit des Kreuzes Jesu inmitten eines Meeres von Gelächter, Ablehnung, Verhöhnung und sogar offen entgegengebrachtem Hass! Die Muttergottes hätte dabei wohl auch nichts mehr sagen können, was da noch etwas gebracht hätte – die betreffenden Herzen der ausgesprochenen Gegner Jesu waren anscheinend wirklich verstockt.
Aber sie litt still und schweigend und verließ eben Jesus während Seiner dunkelsten Stunde nicht! Ihre treue Anwesenheit an Seiner Seite war Ihm in menschlicher Hinsicht sicherlich ein großer Trost beim Tragen der Schuldenlast der ganzen Menschheit, der Ihn unterstützt hat. So bleibt wohl auch uns bisweilen (wenn wir nämlich mit unserem menschlichen „Latein am Ende“ zu sein scheinen), nichts anderes und Besseres übrig als nur – zusammen mit unserer himmlischen Mutter Maria – eben still und schweigend den uns überlassenen Teil am Kreuz Jesu mitzutragen: „So freue ich mich nun der Leiden, die ich für euch dulde, und erfülle damit am eigenen Fleisch, was am Leidensmaße Christi noch abzutragen ist. Es kommt Seinem Leibe, der Kirche, zugute“ (Kol 1,24.).
Aber wenn Jesus auch in unserem Fall sieht, dass es trotz allem auch in der Gegenwart Seelen gibt, die versuchen, unerschütterlich zu Ihm und Seiner Kirche zu halten und dabei eben auch gezwungen sind, gegen den Strom der massiven Gottlosigkeit und Glaubensverlustes bzw. im Widerspruch zum modernen Götzen der sog. „politischen Korrektheit“ zu schwimmen, wird Er dann sicherlich auch uns einen solchen inneren Reichtum in Seiner Gnade schenken, dass wir dann wiederum zusammen mit der Muttergottes das herrliche Loblied auf die Güte und Barmherzigkeit Gottes werden anstimmen können: „Hoch preist meine Seele den Herrn, und mein Geist frohlockt in Gott, meinem Heiland: denn herabgesehen hat Er in Gnaden auf Seine niedrige Magd…!“ (Lk 1,46f.)

P. Eugen Rissling

 

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